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Stellungsnahme zu einer Reportage über Auslandsadoptionen in Kolumbien

Seit einigen Wochen läuft im kolumbianischen Fernsehen, jeweils sonntags, eine Reportage über Auslandsadoption. In jedem der einzelnen Kapitel werden menschliche Tragödien aufgezeigt, Menschen, die unter großer Armut leben, Opfer sozialer Ungerechtigkeiten geworden sind und ohne jede staatliche Unterstützung bleiben. Es ist eine kolumbianische Realität, dass die in den letzten Jahrzehnten gewachsene soziale Verelendung weiterhin die Möglichkeiten der staatlichen Hilfemaßnahmen sprengt.

Kolumbien ist ein reiches Land, reich an Bodenschätzen, von spektakulärer Naturschönheit, einem wunderbaren Klima – und hat unzählige Probleme. Seit vielen Jahrzehnten beschäftigt das Drogenthema das Land. Die Straßenkriminalität schränkt die Bewegungsfreiheit auch im kleineren Umfeld ein. Seit über einem halben Jahrhundert versucht Kolumbien den Bürgerkrieg zu überwinden. Dabei erkämpft es sich in kaum merklichen Schritten den Frieden, und investiert dabei sehr viel Geld in das Militär, damit es ein ernsthafter Gegner für die Guerrilla sein kann. Dieses Bemühen um Frieden im eigenen Land verursacht erneut einen sozialen Unfrieden, weil die von Kolumbien gesetzten Prioritäten seine eigenen Bürger in größte Not stürzt. Und – der berühmte Teufelskreis – diese Menschen lehnen sich erneut gegen den Staat auf. Bewaffneter Bürgerkrieg, zum Teil aus dem Ausland finanziert, hat in der Geschichte der Menschheit nicht wirklich das Elend der Bevölkerung reduziert, sondern eher gesteigert.

Das ICBF in Kolumbien wurde gegründet, weil der Staat eine Zentralisierung und eine Systematisierung der staatlichen sozialen Hilfe angestrebt hat. Diese Familienschutzbehörde hat viele schwierige Aufgabenbereiche zu bewerkstelligen, und dabei soll sie an erster Stelle für den Kindeswohl sorgen: primero los niños!

Innerhalb des Kinderschutzprogramms lässt sich die Arbeit des ICBF am besten mit den Begriffen Prävention – Protektion – Adoption beschreiben. In der Praxis bedeutet das: Beratung und Orientierung von bedürftigen Familien und Alleinerziehenden, Betreuung von Kindern in Tagesheimen, bei Tagesmüttern, temporäre oder dauerhafte Heimerziehung, Versorgung mit Grundnahrungsmittel, Bereitstellung von Pflegefamilien und fortwährende Schulung und Supervision derselben, sowie Inlands- und Auslandsadoptionen. Die Wahrung - und im Falle ihrer Verletzung - die Wiedererlangung kindlicher Rechte ist das Ziel, für das die Behörde ICBF steht. Für die Auslandsadoptionen hat das ICBF die Rahmenbedingungen des Haager Adoptionsübereinkommens sehr früh eingeführt und arbeitet unter den Vorgaben der Konvention seit 1996, ratifiziert seit 1998. Die Adoptionsverfahren sind somit transparent begründet und werden international weitestgehend anerkannt.
Umso mehr erschüttert uns, dass in der Reportage im kolumbianischen Fernsehen in den letzten Tagen gerade diese Behörde, vor allem die Kinderschutzabteilung, kritisiert wird – in einem Maße, das uns sprachlos zurücklässt. Seit 20 Jahren kennen wir die Situation der Familien, aus denen die Kinder, die ins Ausland vermittelt werden, kommen, aus eigener Anschauung, seit 18 Jahren in enger Kooperation mit dem ICBF. Wir wissen, dass in manchen Fällen die Intervention des ICBFs, um Kinder in Sicherheit zu bringen, Mütter und Väter trifft, die die Kinder besser versorgt hätten, wenn sie es nur gekonnt hätten. Hier ist die Frage berechtigt: wie viel kann noch der kolumbianische Staat, wie viel können wir in Europa dafür tun, damit diese Familien rechtzeitig aufgefangen werden? Wir heißen jede Maßnahme willkommen, die dazu dient, Familien zu stärken, ihrem Leben Perspektive zu geben, ihnen Bildung und Arbeit zu ermöglichen, damit ihre Kinder in Sicherheit ein Leben ohne Hunger und Gewalt, ohne Drogen und Obdachlosigkeit, entwickeln können.

Die Kinderschutzabteilung des ICBFs hat einen klaren Auftrag, und der ist, die Kinder aus einer angezeigten Gefahrensituation herauszunehmen, zu versorgen, und ihre Situation nach bestimmten gesetzlichen Vorgaben zu prüfen, mit dem Ziel, sie in die Herkunftsfamilie zu reintegrieren. Sollten die Bedingungen hierfür endgültig nicht gegeben sein, wird die Adoptierbarkeit des Kindes erklärt. Diese Entscheidung hat nichts mit Willkür oder Subjektivität zu tun. Es handelt sich um ein Instrument zur Wiederherstellung verletzter Kinderrechte, das im kolumbianischen Kontext eine gesetzliche Legitimierung hat.

Die Reportage konzentriert sich auf die Seite der Zurückgebliebenen. Dabei suggeriert sie mit der Fragestellung, der Hintergrundmusik und vor allem mit den Bildern, dass ein Verbrechen seitens der Kinderschutzabteilung ICBF begangen wurde: verzweifelten Eltern wurden die Kinder weggenommen. Ein schmutziges Geschäft des ICBFs.

Die Reportage durchleuchtet nicht annähernd die Hintergründe, die zu der Entscheidung des Vormundes eines Kindes geführt haben, es für die Adoption frei zu sprechen. Es hätte die Arbeit dieser staatlichen Vertreter eines schutzlosen Kindes, die zum Teil unter dem Einsatz ihres Lebens Kinder aus Elendssituationen herausholen, ins rechte Licht gerückt. Diese Frauen und Männer arbeiten mit skandalös geringen Mitteln, sie müssen zum Teil zu Fuß zu den Behausungen in abgelegenen Regionen Kolumbiens gehen, in denen die ihnen gemeldeten Kinder unter nicht selten lebensgefährlichen Bedingungen leben; sie sind Bedrohungen und Verfolgung von gewaltbereiten, oft rauschmittelabhängigen Menschen ausgesetzt, werden in ungeschützten Büros von Menschen bedroht, die glauben, ihnen geschähe Unrecht. Und dennoch erfüllen sie ihren Auftrag. Diese Menschen sind Opfer der sozialen Ungerechtigkeit in einem Land, indem es sehr viele, sehr reiche Menschen gibt, indem jedoch die große Mehrheit sehr arm ist.

Oft sind wir beim Lesen der ausführlichen Erläuterungen zur Festellung der Adoptierbarkeit damit konfrontiert worden, dass in manchen Fällen Kinder wieder und wieder in ihre Ursprungsfamilie reintregiert wurden und der Vormund der Herkunftsfamilie immer wieder eine Chance eingeräumt hat, obwohl es – von außen betrachtet - absehbar war, dass damit erneute Traumatisierungen erfolgten und die Kinder sich nie mehr richtig davon erholen würden. Aber das ICBF berücksichtigt auch die Rechte der Eltern eines Kindes, wenngleich nicht vordergründig, denn, wie schon gesagt: primero los niños!

Das ICBF bietet sicherlich viele Gründe zur Kritik – wie jede große Behörde. Höhere Posten werden politisch besetzt und nicht nach fachlichen Kriterien. In der Basis jedoch arbeiten qualifizierte Frauen und Männer mit größtem Engagement: sie holen Kinder aus Gefahrensituationen heraus und müssen nach eingehender und vorgegebener Überprüfung Entscheidungen treffen, die für das Kind, nach international vorgegebenen Maßstäben am besten erscheinen. Es ist eine sehr schwierige Aufgabe.

Den engagierten Vormunden in Kolumbien kann man am wenigsten den Vorwurf machen, sie würden nicht professionell arbeiten. Sie üben eine unglaublich wichtige, wie auch hochempfindliche Arbeit aus: sie entscheiden über die Zukunft von Kindern – und das unter sehr schlechten Arbeitsbedingungen. Sie werden ihren Beruf weiter ausüben, täglich mit der großen Ungerechtigkeit der Verteilung von Gütern umgehen müssen, sie werden mit Gewalt und mit Bedrohung konfrontiert werden, sie werden Kinder, die auf der Straße oder in unmenschlichen Verhältnissen leben, unterbringen müssen, bis sich ihre Situation geklärt hat, sie werden mit den Bildern leben müssen, die sie täglich zu sehen bekommen.

Das Ziel der Reportage scheint zu sein, den Ruf der Behörde zu beschädigen. Aber sie beschädigen den Ruf der nationalen wie internationalen Adoption und sie verursachen damit für die Kinder ein weitaus größeres Leid als ihnen ohnehin schon geschehen ist. Sie verursachen, dass ein Mensch, dem großes Unrecht widerfahren ist, argwöhnen muss, dass er ein weiteres Mal missbraucht wird und riskieren, dass ein mühsam wiedergewonnenes seelisches Gleichgewicht schwer beschädigt wird.

Susana Katz-Heieck und Monika Müllers-Stein, AdA e.V. München und Eschborn, April 2012

         
   
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